Horaz, Carmen III, 29 (29 - 64 )
Lebe mit Gleichmut ! - Was der Augenblick bringt, gedenke mit Gleichmut zurechtzulegen !
Alkäische Strophe
prudens futuri temporis exitum
30 caliginosa nocte premit deus
ridetque, si mortalis ultra
fas trepidat; quod adest, memento
conponere aequus!1 cetera fluminis
ritu feruntur, nunc
medio aequore
35 cum
pace delabentis Etruscum
in mare, nunc lapides adesos
stirpisque
raptas et pecus et domos
volentis una,
non sine montium
clamore vicinaeque silvae,
40
cum fera diluvies quietos
inritat amnis.ille potens sui
laetusque deget,2 cui licet in diem
dixisse3 "vixi". cras vel atra
nube polum pater occupato4
45 vel sole puro! non tamen inritum,
quodcumque retro est, efficiet neque
diffinget infectumque reddet,
quod fugiens semel hora vexit.
Fortuna saevo laeta negotio et
50 ludum insolentem ludere pertinax
transmutat incertos honores,
nunc mihi nunc alii benigna.
laudo manentem:5 si celeres quatit
pinnas, resigno, quae dedit, et mea
55 virtute me involvo probamque
pauperiem sine dote quaero.
non est meum, si mugiat Africis
malus6 procellis, ad miseras preces
decurrere et votis pacisci,
60 ne Cypriae Tyriaeque merces
addant avaro divitias mari:
tunc me biremis praesidio scaphae
tutum per Aegaeos tumultus
aura feret geminusque Pollux.
1 aequus = aequo animo; 2 deget (vitam); 3 dixisse (gnomisches Perfekt) = dicere; 4 occupato: mag...5 erg: fortunam (konditional aufzulösen); 6 malus,i: Mast(baum)
Übersetzung
Ein Gott verhüllt in weiser Voraussicht den Ausgang der Zukunft mit dunkler Nacht und lacht, wenn ein Sterblicher sich über Gebühr ängstigt; was der Augenblick bringt, gedenke mit Gleichmut zu ordnen! Alles andere nimmt seinen Lauf wie ein Fluss, der bald mitten in seinem Bett ins etruskische Meer fließt, bald ausgewaschene Steine, entwurzelte Bäume, Vieh und Häuser mit sich wälzt, unter dem Widerhall der Berge und des nahen Waldes, wenn ein verheerendes Hochwasser die ruhigen Gewässer anschwellen lässt. Nur jener wird als sein eigener Herr froh das Leben verbringen, dem es erlaubt ist, nach jedem Tag zu sagen: "Ich habe gelebt". Mag morgen der Göttervater den Himmel entweder mit einer schwarzen Wolke verhüllen oder die Sonne scheinen lassen, er wird dennoch nichts ungeschehen machen, was zurückliegt und nichts widerrufen und ungültig machen, was die flüchtige Stunde einmal gebracht hat. Fortuna froh auf ihr wildes Treiben und hartnäckig, ihr unverschämtes Spiel zu spielen, tauscht ihre launenhaften Gaben aus und ist heute mir und morgen einem anderen gnädig. Wenn sie bei mir bleibt, ist es mir recht: wenn sie ihre schnellen Flügel schwingt, gebe ich ihr zurück, was sie mir gegeben hat, hülle mich in meine eigene Tatkraft und suche meine redliche Armut ohne Mitgift (zu ertragen). Es ist nicht meine Art, wenn der Mastbaum in den Südwestwinden ächzen sollte, zu kläglichen Bitten zu eilen und mit Gelübden darum betteln, dass nicht zyprische und tyrische Waren dem unersättlichen Meer die Schätze vermehren: dann wird mich im Schutz eines kleinen Rettungsbootes ein günstiger Wind und der Zwilling Pollux durch das Toben der Ägäis tragen.